Ein Jahr Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen: TERRE DES FEMMES liefert erste Zahlen!

TERRE DES FEMMES setzt sich seit vier Jahren verstärkt gegen Frühehen ein. Foto: © evgenyatamanenko - Fotolia.comTERRE DES FEMMES setzt sich seit vier Jahren verstärkt gegen Frühehen ein.
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UPDATE 12.7.18: TERRE DES FEMMES erhält weitere Rückmeldungen, die wir laufend mit aufnehmen.

Bis einschließlich 09.07.18 sammelte TERRE DES FEMMES Rückmeldungen aus den einzelnen Bundesländern, um die Wirksamkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen[1]  einzuschätzen. Mit dem Gesetz, das am 22.07.17 in Kraft trat, wurde das Mindestheiratsalter auf 18 Jahre ohne Ausnahme festgelegt. Das gilt nun sowohl für deutsche als auch nicht-deutsche Staatsangehörige. Ehen, die minderjährig geschlossen wurden, sind entweder nichtig (unter 16) oder aufhebbar (zwischen 16 und 18). Die Antragstellung auf Eheaufhebung ist für die zuständigen Behörden verpflichtend, Ausnahmen gibt es nur in Härtefällen.

Das Ergebnis unserer Abfrage: Bundesweit wurden mindestens 229 Fälle (Update 12.7.18: 245 Fälle) von Frühehen gemeldet, mindestens 47  Anträge (Update 12.7.18: 51 Anträge) auf Eheaufhebung bei Gericht gestellt und bisher acht Urteile gefällt. In drei von acht Urteilen wurde die Ehe aufgehoben, in fünf Urteilen wurde sie bestätigt. Die Bestätigung erfolgte entweder aufgrund inzwischen eingetretener Volljährigkeit oder weil die Betroffenen EU-BürgerInnen waren und eine Aufhebung ihre Freizügigkeitsrechte verletzt hätte.

Die Diskrepanz zwischen den gemeldeten Fällen und den gestellten Anträgen auf Eheaufhebung ergibt sich daraus, dass die Betroffenen mittlerweile volljährig geworden waren und ihre Ehen bestätigt haben. Diese Fälle werden nicht an das Gericht weitergeleitet.

Soweit es möglich war, haben wir auch Informationen zu der Staatsangehörigkeit der Betroffenen erhalten, folgende Länder wurden dabei genannt: Afghanistan, Bulgarien, Irak, Kroatien, Libanon, Marokko, Mazedonien, Rumänien, Russland, Serbien, Somalia, Syrien, Türkei (Update 12.7.18: Bosnien-Herzegowina, Pakistan, Tunesien). Aus den Rückmeldungen kristallisierte sich heraus, dass die aufzuhebenden Ehen durchaus nicht nur Geflüchtete betreffen, sondern in größerem Ausmaß auch EU-BürgerInnen. TERRE DES FEMMES hat im Lauf der letzten Jahre immer wieder betont, dass Frühehen in Deutschland kein neues Phänomen sind. Schon im Jahr 2008 war ein knappes Drittel der Personen, die sich aufgrund einer angedrohten oder vollzogenen Zwangsverheiratung an Beratungsstellen wandten, minderjährig (Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland. Anzahl und Analyse von Beratungsstellen“, herausgegeben 2011 vom Bundesfamilienministerium). Viele der Betroffenen hatten sogar die deutsche Staatsangehörigkeit.

Zum Alter der Betroffenen erhielten wir kaum Informationen. Aus der Antwort der Niedersächsischen Landesregierung auf die Anfrage eines AfD-Abgeordneten vom März dieses Jahres geht hervor, dass bei 18 identifizierten minderjährig verheirateten Personen in 14 Fällen Alter und Geschlecht bekannt seien: 12 minderjährige Mädchen und 2 minderjährige Jungen sind 14 (1), 15 (1), 16 (4) und 17 (8) Jahre alt.

Die detailliertesten Informationen erhielten wir übrigens dort, wo es EINE zuständige Behörde für die Antragstellung gibt. In Ländern, in denen die Verantwortung auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen wurde, fehlt eine Stelle, wo die Informationen zusammenlaufen. Das macht eine Evaluierung des Gesetzes so schwierig und sollte von den jeweiligen Landesregierungen unbedingt noch angepasst werden. Die Bundesregierung, die sich zu einer Evaluierung der Auswirkungen des Gesetzes innerhalb von drei Jahren nach dessen Inkrafttreten verpflichtet hat, ist an diesem Punkt ebenfalls gefragt.

Weltweit werden jeden Tag 12 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, Foto: © TDF/Uwe SteinertWeltweit werden jeden Tag 12 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, Foto: © TDF/Uwe SteinertEine weitere interessante Erkenntnis aus der Abfrage betrifft die Ämter, die Fälle von Frühehen bei den zuständigen Behörden melden. Entgegen unserer Annahme, dass es vermutlich hauptsächlich die Jugendämter sein würden, sind es bisher tatsächlich überwiegend die Standesämter. Dort werden minderjährig geschlossene Ehen bekannt, wenn für in Deutschland geborene Kinder Geburtsurkunden ausgestellt werden sollen. Eine frühe Schwangerschaft ist eine der häufigsten Konsequenzen von Frühehen. Daher kommt es nicht selten vor, dass junge bzw. noch minderjährige Ehefrauen in Deutschland Kinder bekommen, die sie dann registrieren lassen möchten. Dafür verlangen die Standesämter die Vorlage von Dokumenten wie Heiratsurkunden, wenn das Sorgerecht beiden Elternteilen zuerkannt werden soll. So wird ersichtlich, mit welchem Alter die Eheleute geheiratet haben.

Die wichtigsten Ergebnisse unserer Abfrage haben wir für Sie in einer Tabelle (PDF) (Update am 12.7.18) zusammengefasst.

Die neuen Regelungen des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen finden Sie in der TERRE DES FEMMES-Informationsschrift „Das neue Gesetz gegen Frühehen: Wie muss das Gesetz in der Praxis angewandt werden“. (PDF)

 

 

 

Stand 07/18

 

[1] TERRE DES FEMMES verwendet den Begriff ‚Kinderehe’ nur im Zusammenhang mit dem Gesetz, das offiziell „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ heißt. Ehen, die von Minderjährigen geschlossen werden, bezeichnen wir als Frühehen. Damit sind auch Ehen umfasst, die von 16- oder 17-Jährigen geschlossen werden und unserer Auffassung nach nicht als ‚Kinderehen’ anzusehen sind.