Polizeiliche Kriminalstatistik meldet 82 Fälle von Zwangsverheiratungen für das Jahr 2020:

Mehr Fälle von Zwangsverheiratung von Minderjährigen
TDF befürchtet starken Anstieg von Zwangsverheiratung und Frühehen aufgrund der Corona-Pandemie

In der im April 2021 veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) von 2020 wurden im Berichtzeitraum vom 01.01.2020-31.12.2020 82 Fälle von versuchter und vollzogener Zwangsverheiratung erfasst (34 vollzogene und 48 versuchte Zwangsverheiratungen). Die meisten Opfer waren weiblich: Von den 77 Mädchen und Frauen wurden bei 33 die Zwangsverheiratungen durchgeführt, bei 44 blieb es bei einem Versuch. In fünf Fällen waren Männer von einer Zwangsverheiratung betroffen (vier Versuche und eine durchgeführt Zwangsverheiratung).

 

Die meisten Betroffenen waren in 35 Fällen minderjährige Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren, gefolgt von der Gruppe der 18-21-Jährigen in 24 Fällen. Drei Mädchen wurden unter 14 Jahren zwangsverheiratet bzw. waren von einer Zwangsheirat bedroht. Im Vergleich zum Vorjahr ist damit die Gesamtzahl der von Zwangsverheiratung bedrohten und betroffenen Personen etwas angestiegen (74 Personen waren 2019 bedroht oder betroffen), aber auch die Zahl der Minderjährigen: So waren 2019 gemäß der PKS 30 Minderjährige betroffen, 2020 hingegen insgesamt 40.

In der PKS 2020 wurden 97 Tatverdächtige genannt: 64 Männer und 33 Frauen, die meisten im Alter zwischen 30 und 50 Jahren.

Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik spiegeln allerdings nicht die tatsächliche Anzahl der Fälle in Deutschland pro Jahr wider: Viele Betroffene scheuen sich davor, eine Anzeige zu stellen, häufig aus Angst vor den befürchteten Konsequenzen (Drohungen von Seiten der Familie und/oder Bruch mit der Familie) oder emotionale Bindungen zur Familie (häufig sind die eigenen Eltern die InitiatorInnen einer Zwangsverheiratung). Die Abhängigkeit zu den Eltern ist insbesondere bei Minderjährigen gegeben, die sich oft scheuen, überhaupt Hilfe zu suchen und anzunehmen.

Aus den genannten Gründen resultiert eine große Dunkelziffer.

Aufgrund der Corona-Pandemie ist außerdem eine Zunahme der Fälle von Zwangsverheiratung und Frühehen zu befürchten: Schulen, die teilweise monatelang geschlossen waren bzw. immer noch sind, sind häufig der einzige Ort, den bedrohte Minderjährige und junge Volljährige aufsuchen dürfen und bei Vertrauenspersonen wie SchulsozialarbeiterInnen um Hilfe bitten können. Es ist zu befürchten, dass die Zahlen aufgrund von Corona stark ansteigen, da die Mädchen in dieser Zeit von der Außenwelt abgeschnitten waren und keine Hilfe suchen konnten. Außerdem fehlt die staatliche Kontrolle, welche die Eltern eventuell vor einem solchen Schritt abschrecken könnte. Ein weiterer Faktor für Zwangsverheiratungen und Frühehen sind (finanzielle) Unsicherheiten und Krisen – auch die UN befürchtet einen weltweiten Anstieg von Frühehen: Der UN-Bevölkerungsfonds schätzt, dass aufgrund der Corona-Pandemie im kommenden Jahrzehnt 13 Millionen zusätzliche Frühehen zu erwarten sind.

TERRE DES FEMMES setzt sich seit ihrem Bestehen seit 40 Jahren gegen Zwangsverheiratung und Frühehen ein – aktuell mit dem von Aktion Mensch finanzierten Schultheaterprojekt „Mein Herz gehört mir – Gegen Zwangsverheiratung und Frühehen

Quelle: Polizeiliche Kriminstalstatistik 2020