Polizeiliche Kriminalstatistik für 2021 veröffentlicht: 73 Fälle von versuchter oder vollzogener Zwangsverheiratung in Deutschland

iStockPeopleImages 93601166011Copyright: PeopleImages, istockDie im April 2022 veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wirft erneut ein Schlaglicht auf das Themenfeld der Früh- und Zwangsverheiratungen in Deutschland. Demnach wurden im Berichtsjahr 2021 73 Fälle von Zwangsheirat von der Polizei erfasst, davon 46 Versuche.

Von den insgesamt 79 registrierten Opfern* einer versuchten oder vollzogenen Zwangsverheiratung sind 71 Mädchen bzw. Frauen.

 

Die jüngsten der verzeichneten Betroffenen waren zwischen 6 und 14 Jahre alt, beide Fälle weiblich, bei beiden blieb es jedoch beim Versuch. Die größte Gruppe der von Zwangsheirat bedrohten oder betroffenen Personen stellten die Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren dar. Fast ausnahmslos waren die Betroffenen weiblich (34 von insg. 36). Besonders erschreckend ist, dass bei 18 von 36 verzeichneten Minderjährigen dieser Altersklasse die Zwangsverheiratung bereits vollzogen war. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Heranwachsenden (18 bis unter 21 Jahre): 19 der insgesamt 21 verzeichneten Betroffenen oder Bedrohten waren Frauen.

Versucht bzw. begangen wurden diese Straftaten von insgesamt 100 Tatverdächtigen, 73 davon männlich. Schaut man sich auch hier die Altersstruktur an, waren die meisten der mutmaßlichen TäterInnen zwischen 30 und 60 Jahre alt. 

Die große Mehrheit der „Opfer“ einer Zwangsverheiratung (68/79) war mit den Tatverdächtigen verwandt oder durch Ehen/Partnerschaften verbunden.  

Dies sind die offiziell geführten Zahlen. Doch hinter jedem erfassten Einzelfall steht eine Vielzahl weiterer. Früh- und Zwangsverheiratungen sind zumeist mit Scham oder Tabus behaftet: Außenstehende werden selten ins Vertrauen gezogen. Doch neben unserer stetigen Forderung nach einer neuen, bundesweiten Studie zum Thema Früh- und Zwangsverheiratung in Deutschland, verdeutlichen die Zahlen der PKS weitere wichtige Punkte:

  1. „Opfer“ einer Zwangsheirat sind zumeist weiblich – aber eben nicht ausschließlich. 
  2. Tatverdächtige sind zwar in der Mehrzahl der erfassten Fälle Männer, aber auch Frauen.
  3. Mit Beginn der Pubertät steigt die Gefahr für Mädchen gegen ihren Willen verheiratet zu werden.
  4. Mit den mutmaßlichen TäterInnen bestand zumeist eine vorangehende soziale Beziehung.

Prävention muss daher ganzheitlich gedacht werden. Nur wenn neben den potenziell bedrohten oder betroffenen (jungen) Menschen auch deren (familiäres) Umfeld mit sensibilisiert und aufgeklärt wird, kann langfristig ein Umdenken stattfinden. Denn nur wenn alternative Lebensmodelle offen diskutiert werden, können die freiheitlichen und selbstbestimmten Denk- und Handlungsmuster, mit denen die SchülerInnen zumindest während ihres Schulbesuchs in Berührung kommen, auf Widerhall stoßen.

TERRE DES FEMMES leistet mit Hilfe des Schultheaterprojekts „Mein Herz gehört mir“ Präventionsarbeit an insgesamt 20 Berliner Schulen. Die dafür erstellten Schulmaterialien sind kostenfrei hier erhältlich. Neben fachlichen Hintergrundinformationen zum Thema Früh- und Zwangsverheiratungen stellen sie auch konkrete Möglichkeiten vor, dieses sensible Thema im Unterricht zu behandeln. Weiterhin schulen wir die Berliner „Stadtteilmütter“, die direkt in Familien gehen und Aufklärungsarbeit zum Thema Zwangsverheiratung leisten. Außerdem entwickeln wir eine Elternbroschüre in 8 Sprachen, um Eltern zu den Themen Zwangsverheiratung und Frühehen zu sensibilisieren und über die negativen Konsequenzen aufzuklären.

 

* TERRE DES FEMMES selbst spricht von Betroffenen. Doch da es sich bei diesem Artikel um eine Auswertung der PKS 2021 handelt, übernehmen wir an dieser Stelle die darin verwendeten offiziellen Bezeichnungen.

 

Quelle: Bundeskriminalamt – PKS 2021, Version 1.0.