Neue Studie zu "Ehren"-Morden veröffentlicht

TERRE DES FEMMES sieht sich in ihrer Arbeit bestätigt

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat vor einigen Jahren eine Studie „Ehrenmorde in Deutschland“ in Auftrag gegeben, die vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht erstellt wurde, und anhand von Prozessakten 78 Fälle aus den Jahren 1996 bis 2005 analysiert. Diese Studie wird noch diese Woche vom BKA veröffentlicht. Erste Ergebnisse sind jedoch schon bekannt gegeben worden und bestätigen die jahrelange Arbeit von TERRE DES FEMMES (TDF) zu diesem Thema.

So stellt die Studie fest, dass in den meisten Fällen (vier von fünf) eine „unerwünschte Liebesbeziehung“ der Grund für die Tat war. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam TDF bereits 2005 in der „Studie: Ehrenmord“, die auf Grundlage der Materialsammlung von Papatya und TDF „Verbrechen im Namen der Ehre“ von 2005 erstellt wurde. Diese Materialsammlung zählte im Zeitraum 1996-2005 49 Fälle von "Ehren"-Mord bzw. versuchtem „Ehrenmord“. (In einer erweiterten Materialsammlung bis 2009 zählt Papatya insgesamt 88 Fälle von "Ehren"-Mord). Bei 32% der Fälle war der Hauptgrund für die Tat eine außereheliche Beziehung.

Enger Zusammenhang zwischen Zwangsverheiratung und "Ehren"-Mord

Weitere in der TDF-Studie angeführte Gründe für einen "Ehren"-Mord sind eine Trennung oder eine (verweigerte) Zwangsverheiratung. Sowohl die Weigerung, den von der Familie ausgesuchten Partner zu heiraten, als auch die Flucht aus einer Zwangsehe bergen nach unseren Erkenntnissen die höchste Gefahr, Opfer eines "Ehren"-Mordes zu werden. So war es bei Hatun Sürücü, die 2005 in Berlin von ihrem Bruder ermordet wurde, weil sie aus einer Zwangsehe geflohen war und ein eigenständiges Leben führte, und so war es auch bei Morsal Obeidi, der 16-jährigen Deutsch-Afghanin, die 2008 in Hamburg ermordet wurde.

Zwangsverheiratung kein ausschließliches Problem bildungsferner Schichten – Ehrkonzept in patriarchalischen Gesellschaften

Die von der BKA-Studie herausgearbeitete These, dass die Täter nur in seltenen Fällen aus der zweiten oder dritten Migrantengeneration stammen, wird von den beiden eben erwähnten "Ehren"-Morden nicht bestätigt. Beide Täter wurden in Deutschland geboren und gingen hier zur Schule. Auch Zwangsverheiratungen kommen nicht nur in schlecht integrierten und bildungsfernen Schichten vor, sondern genauso in vermeintlich gut integrierten und wirtschaftlich abgesicherten Familien. Diese Erkenntnis stützt sich auf die jahrelange Erfahrung der Mitarbeiterinnen in der TDF-Beratungsstelle. Es geht in Fällen von Zwangsverheiratungen und auch "Ehren"-Morden hauptsächlich um das Ansehen, die Ehre der Familie, die bewahrt bzw. wiederhergestellt werden muss. Diese Auffassung von TDF wird nun von der BKA-Studie bestätigt. Nach dem Ehrkonzept patriarchalisch strukturierter und traditionell denkender Familiensysteme ist die Frau der Besitz des Mannes und Trägerin seiner Ehre. Durch „falsches“ Verhalten kann sie die Ehre des Mannes und somit der ganzen Familie beschmutzen, indem sie z.B. unerwünschte bzw. außereheliche Beziehungen hat. Um dies zu verhindern und damit die weibliche Sexualität zu kontrollieren, werden Mädchen möglichst früh verheiratet. Sie müssen bis zu ihrer Heirat Jungfrau bleiben, wobei es in den letzten Jahren zu einem richtigen Kult um das Jungfernhäutchen gekommen ist. TDF hat schon mehrfach auf diese besorgniserregende Entwicklung hingewiesen und einen Aufklärungsflyer sowie eine Broschüre „Das Jungfernhäutchen – Falsche Vorstellungen und Fakten“ erstellt.

Keine falsche Nachsicht gegenüber Tätern

Zu Recht wird in der BKA-Studie kritisiert, dass von den 122 Tätern nur 23 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Tätern von "Ehren"-Morden darf auf keinen Fall ihr kultureller Hintergrund strafmildernd zu Gute gehalten werden. "Ehren"-Morde sind als Morde aus niedrigen Beweggründen zu ahnden, wie es der Bundesgerichtshof bereits seit 1995 vorschreibt. So hat TDF im Mai 2009 scharf protestiert, als der ehemalige Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer dafür plädierte, bei einem in Deutschland begangenen "Ehren"-Mord die Sozialisation des Täters zu berücksichtigen. TERRE DES FEMMES wird auch weiterhin genau hinsehen und Missstände bei Menschenrechtsverletzungen von Frauen benennen, auch und gerade dann, wenn erste Erkenntnisse noch nicht durch große wissenschaftliche Studien belegt wurden und daher im Zuge einer falsch verstandenen Toleranz in Zweifel gezogen werden.