Im Gedenken an Hatun Sürücü: Gewalt im Namen der Ehre nach wie vor unvermindert hoch

Jedes Jahr veröffentlicht TERRE DES FEMMES anlässlich des Todestages von Hatun Sürücü am 07. Februar sogenannte Ehrenmordfälle, um an weitere Opfer dieser Verbrechen zu erinnern. Hatun Sürücü wurde am 07.02.2005 von ihren Brüdern in Berlin ermordet, weil sie frei und selbstbestimmt leben wollte und damit in den Augen der Brüder gegen die Familienehre verstieß.

Für die Jahre 2021 und 2020 wurden 25 Fälle versuchter oder vollzogener tödlicher Ehrverbrechen identifiziert:

„14 Frauen, 11 Männer fielen einer vermeintlichen Ehrvorstellung des Täters zum Opfer – dabei starben 5 Männer und 6 Frauen, bei den anderen Personen blieb es beim Mordversuch. Auffallend hierbei ist, dass auch viele Männer bei „Ehren“-Morden ums Leben kamen. Diese waren in der Mehrheit der Fälle die (vermeintlich) neuen Partner der Ehefrau oder deren Brüder. Dies verdeutlicht, dass „Ehren“-Morde nicht per se mit Femiziden gleichzusetzen sind – diese Begriffsdebatte wurde vergangenes Jahr verstärkt durch den Mord an Maryam H. durch ihre Brüder diskutiert. Gleichzeitig zeigt dies, dass Gewalt im Namen der Ehre viele Menschen (be)trifft und sowohl an Frauen aber auch an Männern feste Erwartungsbilder (von früh an) geknüpft werden. So wurde in einem Fall der Bruder der Ex-Frau des Täters von diesem umgebracht, weil er nichts gegen die Trennung seiner Schwester von ihrem Ehemann unternommen hätte (1. Fall in der unten aufgeführten Übersicht).

Prävention muss daher von Anfang an beide Geschlechter einschließen und sowohl weibliche, aber auch männliche Rollenbilder kritisch hinterfragen. Denn oft werden die Jungen als „Beschützer“ oder „Aufpasser“ ihrer Schwestern erzogen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Töchter die Ehre der Familie nicht beschmutzen. Gleichzeitig wird auf diese Weise der Bewegungsradius und die freie Entfaltung der Mädchen und Frauen enorm eingeschränkt.

TERRE DES FEMMES geht seit Januar 2022 mit dem interaktiven Forumtheaterstück „Mein Herz gehört mir“ an Berliner Schulen. Jugendliche sollen dabei spielerisch alternative Denk- und Handlungsmuster erlernen. Parallel werden Stadtteilmütter in Berlin geschult und eine Broschüre speziell für Eltern herausgebracht. Unter dem Titel „Starke Familien haben starke Töchter“ wird in 8 Sprachen niedrigschwellig dafür sensibilisiert, die Töchter nicht minderjährig und auch nicht gegen ihren Willen zu verheiraten.

Zudem hat die Recherche ergeben, dass im Zuge von Gerichtsverhandlungen 2021 eine verletzte Ehre als Motiv für Tötungsdelikte 2020 ermittelt werden konnte. Die Zahl der „Ehren“-Mordopfer hat sich 2020 rückwirkend demnach noch einmal auf 15 erhöht (vgl. Dokument).